Ayse Özbabacan, warum ist es so wichtig, Menschen, die neu zu uns kommen, Angebote zu so genanntem Empowerment zu machen – so wie es aktuell WEMIN für Frauen anbietet?
Ja, Menschen, die neu zu uns gekommen sind so stärken, so zu „empowern“, das bedeutet sie zu befähigen, dass sie ihre Stärken, ihre Kompetenzen, ihre Talente einbringen können, um hier bei uns Fuß zu fassen.
Wir haben sehr viele Menschen, die, wenn ich an die geflüchteten Frauen denke, die hierher kommen, die im Ausland eine akademische Ausbildung hatten, oder sonst irgendwas gemacht haben und von dadurch Fähigkeiten, Stärken und Ressourcen haben, die sich hier bei uns nicht einsetzen können, weil die Sprache fehlt, weil die Abschlüsse nicht anerkannt werden. Viele von ihnen sitzen dann in den Unterkünften und haben einfach nichts zu tun. Diese Kompetenzen liegen brach.
Diese Kompetenzen wollen wir aber nutzen, nutzen für unsere Gesellschaft, für die Integration dieser Menschen. Die Frauen sind eine ganz wichtige Zielgruppe und Frauen aus unterschiedlichen Kulturkreisen, die zu uns gekommen sind, haben einfach nicht dieselben Möglichkeiten, wie die hiesigen Frauen. Oder auch Männer, die einfach flexibler und mobiler sind, weil Frauen vielleicht noch Kinder haben, alleinerziehend sind, kein eigenes Einkommen haben, von sozial Leistungen leben.
Diese Frauen wollen wir stärken und das machen die Stadt Stuttgart schon seit längerem im Rahmen der Empowerment Projekte. Wir haben Fördermittel, die wir zur Verfügung stellen, um eben solche Projekte zu fördern, und darunter haben wir auch einige Frauenprojekte, die auch von geflüchteten Frauen durchgeführt werden, wie z.B. Sprachförderung, Hausaufgabenbetreuung, Computerkurse oder Nähwerkstätte. Das sind die Schneiderinnen, die anderen interessierten das Nähen beibringen. Das ist so als Beispiel. Und die Angebote von WEMIN ergänzen nun die bestehenden Angebote ideal im sprachlich-kulturellen, kreativen und betreuenden Bereich.
Sie haben bereits die Beispiele genannt, von Sprachkursen, über Nähkurse, über Kurse, die vielleicht zur Anerkennung von Begabung und Fähigkeiten führen, die man aus dem Ausland mitbringt, als geflüchtete Frau. Wo sehen Sie den Hauptbedarf? Was ist der erste Schritt für die Frauen, die mit diesem besonderen Hintergrund hierherkommen?
Ganz wichtig ist für unsere Frauen ist: Wie komme ich im Alltag zu recht? Welche Strukturen gibt es hier in der Stadt, welche Ansprechpartner sind wichtig für mich? Die Sprache ist natürlich auch wichtig. Das zeigen uns die Erfahrungen, die bei WEMIN gesammelt wurden.
Da muss man aber auch genauer darauf schauen und muss niederschwellig an diese ganze Geschichte heran, auch natürlich abhängig vom Bildungshintergrund der jeweiligen Frauen. Wir bieten hier auch die Integrationskurse, Sprachkurse für Frauen, Alphabetisierungskurse an. Ich muss als zuständige Leiterin der Kursprogramme mir die Curricula genau anschauen, was vermitteln wir dann an Sprache und Kultur? Wie wird das von den Teilnehmerinnen aufgenommen? Kommen sie da überhaupt mit? Wenn ich jetzt an Alphabetisierungskurse denke, dann müssen die Frauen erstmal unser Alphabet kennenlernen. Welchen Bildungsgrund haben sie von Zuhause mitgebracht? Welche Lernerfahrungen haben sie?
Alles braucht einfach Zeit und Geduld, und natürlich Lehrerinnen und Lehrer, die das auch gut vermitteln können. Auch die Kultur muss vermitteln werden können. Die nächste wichtige Frage ist: Wie komme ich im Alltag zu recht, wie kann ich mich hier integrieren, wie kann ich wirklich am Alltagsleben auch teilhaben, wenn ich Kinder habe, die in die Kita gehen, in die Schule gehen?
Auch der Kontakt zu den Lehrern ist hierbei sehr wichtig, zu den Nachbarn, zu den Ehrenamtlichen. Die Frauen müssen einfach den Knigge, die ungeschriebenen Regeln des Alltags im neuen Land kennenzulernen. Und da braucht es Unterstützung, auch die Unterstützung von Muttersprachler, von Landsleuten, die hier sind, die sich auch ehrenamtlich einbringen, z.B. Dolmetscherinnen und Dolmetscher. Da sehe ich auch den größten Bedarf.
Wir haben sehr viele junge Frauen unter den geflüchteten Frauen, die auch hier auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen können. Wir haben auch Stellen, Angebote für Akademikerinnen und Akademiker. Wir müssen aber insgesamt ein bisschen niederschwelliger denken. Schneiderinnen, die wir vielleicht hier bräuchten, die aber vielleicht kein Geld haben, um sich eine Nähstube einzurichten. Aber es gibt hier viele Unterstützungsmöglichkeiten. Wir haben sehr viele Frauen, die einfach unglaublich gerne kochen und ein Catering anbieten würden. Oder sie waren in der Heimat Erzieherinnen und möchten hier bei uns einfach Kinderbetreuung anbieten. Genau da müssen wir mit unseren Ämtern, wie z.B. mit dem Jugendamt in Kontakt kommen und da auch diese Möglichkeiten schaffen und anbieten, diesen Frauen genau diese Chance zu geben. WEMIN liefert hier für uns, gerade im Vergleich der verschiedenen teilnehmenden Länder, wertvolle Anregungen. Wir nutzen das WEMIN-Curriculum und haben Ideen aus den Kreativworkshops übernommen, um diese in die Regelangebote für Migrantinnen aufzunehmen.
Die Relevanz von Frauen als Zielgruppe haben Sie erläutert. Warum ist es so wichtig ganz gezielt an Frauen zu fördern? Wenn man es jetzt aus der Genderperspektive argumentiert, dann sagen manche Kritiker, es werde zu viel für die Frauen gemacht, aber die Männer blieben scheinbar auf der Strecke. Aber warum ist es so wichtig gerade für Frauen so viel zu machen?
In der Tat, wir machen sehr viel für zugewanderte Frauen, weil die Frauen das annehmen und weil die Frauen einfach benachteiligt sind – egal was die Kritiker nun sagen. Die Männer kommen raus, sie haben es einfacher auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen als Frauen. Bei Frauen ist zu beachten, dass oft Kinder da sind, die Sprache noch neu ist, die hiesigen Gepflogenheiten nicht bekannt sind und die Frauen einfach nicht dieselbe Rechte haben wie die Männer. Sie dürfen nicht allein aus dem Haus. Wie gehen wir damit um? Wie erreichen wir sie?
Deshalb müssen wir hier Angebote machen, um die Frauen an die Hand zu nehmen. Und die Frauen sind auch viel motivierter als die Männer. Das zeigen uns die Erfahrungen. Deswegen ist es uns wichtig, die Frauen als Zielgruppe anzusprechen. Ich habe einmal eine türkische Kollegin kennengelernt, die Sprachförderung anbietet und sie sagt: „Die Frauen kommen auf den Geschmack der Bildung.“ Das ist sehr wichtig. Wenn man auf den Geschmack auf etwas kommt, bleibt man auch dran. Das bietet auch für die Frauen die Möglichkeit, ihre Erziehungskompetenz zu stärken, ihre Kinder zu unterstützen und die Kinder in diese Gesellschaft zu integrieren. Wer kann das am besten? Das sind die Frauen.
Es gibt ein Sprichwort, das heißt: „Wenn die Frau glücklich ist, ist auch die ganze Familie glücklich“. Natürlich auch der Mann. Deshalb müssen wir die Frauen mitnehmen. Wir müssen natürlich auch schauen, welche Angebote müssen wir noch für Männer entwickeln. Nicht das, das wir schon haben, die klassischen Angebote, sondern was brauchen Männer z.B. aus Syrien, aus dem Irak, Afghanistan, aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern. Welche Angebote müssen wir hier machen, um auf Grundlage der Erfahrungen, die wir mit Frauen sammeln, auch mit neuen Angeboten das Empowerment dieser Männer zu stärken. Auch hier finde ich bei WEMIN – wenngleich vollkommen zurecht auf Frauen als Zielgruppe ausgerichtet – wertvolle Anregungen.
Vielen Dank, Ayse Özbabacan, für dieses Gespräch.